Rundgang im Stadtteil

Meine Lieben,

Anfang der Woche las ich unserer Altpapierzeitung, dass ein geführter Rundgang im Stadtteil stattfindet. Das hat mich sehr angesprochen und so waren mein Lieblingsmann und ich am Samstag Nachmittag beim Rundgang dabei.

Zwei mal in der Woche verstopfen irgendwelche Zeitungen inclusive Werbung unser Zeitungsfach am Postkasten. Da ich die einzige bin, die die Zeitungen einmal durchblättert, legt die Familie sie mir auf den Esstisch. Ich blättere sie meist in kürzester Zeit durch und dann wandern die Teile ins Altpapier. Deshalb heißen diese Zeitungsexemplare bei uns Altpapierzeitung. Doch in dieser Woche sprach mich ein Artikel an, da darin von einem geführten Rundgang im Stadtteil die Rede war.

Ich weiß eigentlich schon einen Menge über unseren Stadtteil Marl-Brassert, da unsere Familie in vierter Generation dort wohnt. Doch ich denke, geschichtlich ist da bestimmt noch so einiges zu erfahren. Eine Anmeldung war erwünscht, doch gerne durften wir uns spontan anschließen. So wie ich das verstanden hatte, waren acht Personen anmeldet. Es erschienen aber überraschend um die 20 Personen, um am Rundgang im Stadtteil teilzunehmen. Die professionellen Stadtführer freute es sehr, denn zuletzt hatten sie bei einer Führung vier Anmeldung und nur drei Teilnehmer erschienen. So waren sie natürlich sehr zufrieden.

Rundgang im Stadtteil – Geschichte der Zeche Brassert

Wir starteten an der Zeche Brassert, die schon lange ihre Arbeit eingestellt hatte. Meine Großvater, mein Vater und mein Onkel waren dort eingefahren, wobei mein Vater dort nur seine Lehre machte. Er wechselte dann zu einer Arbeitsstelle am Tageslicht. Eine Verbindung zu dieser Zeche bestand also. Spannend war dann zu hören, dass in alten Zeiten die Gelder für die Lohntüten per Pferdetransport geliefert wurden. Einer dieser Pferdetransporte wurde von zwei Burschen überfallen. Der hinzu kommende Dorfpolizist wurde erschossen, ebenso wie sein Hund. Der Polizist aus Recklinghausen erschoss später einen der Täter auf der Flucht. Der zweite Täter wurde auf der Flucht in Bochum gefangen genommen und später hingerichtet. Es gab noch die Todesstrafe. Die Geschichte war spannender als jeder Krimi.

Rundgang im Stadtteil – Markenkontrolle

Betroffen gemacht hat mich der Satz, die Nazizeit und die Judenverfolgung fand in Marl genauso statt wie überall in Deutschland und darüber hinaus. Es gibt Stolpersteine, dass sind kleine Gedenktafeln, die an betroffene jüdische Familien in unserem Stadtteil erinnern, über die auch ich einfach achtlos hinweg gehe. Leider sind diese in Brassert nicht gepflegt und dadurch völlig zu übersehen, doch alsicham Sonntag den Stolperstein fotografierte, da war er poliert. Ob das einer der Teilnehmer war? Geschichten vom Holocaust kennen wir aus dem Fernsehen, dass aber die großzügige Metzgersfrau an der Hauptstraße, die jeden Mittag ein bedürftiges Kind zum Essen einlud und der Familie ein Fresspaket packte, für 200 Mark ihren Laden an die Nazis verkaufen musste und abtransportiert wurde, das geht mir nah.

Rundgang im Stadtteil – Stolperstein

Ebenso betroffen machte mich, dass auf meinem geliebten Marktplatz die Nazis marschierten, Steinigungen stattfanden und auch der Henker seinen Job tat. Da wird es bei so einem Rundgang im Stadtteil in unserer Gruppe schon Mal ganz still. Diese Geschichten machen betroffen.

Auch eine ganz aktuelle Problematik kam zur Sprache, die der Einwanderung. Es hat sich nichts geändert. Die Zugereisten wurden von jeher schief angeschaut. Nachdem an die Zeche Brassert die Zweit- und Drittgeborenen als Arbeitskräfte angeworben waren, diese Anzahl an Arbeitskräften aber nicht ausreichte, wurden auch Sachsen – das Ruhrgebiet gehörte zu Preußen – angeworben. Die Männer kamen alleine, so dass es einen großen Überschuss an Männern gab. Diese Männer wurden in zusammenhängenden Gebäuden untergebracht, in denen es mächtig nach männlichen Hormonen gerochen haben soll. Deshalb hieß dieses Gebäude das Bullenkloster. Insbesondere Polen und Österreicher wurden vor dem zweiten Weltkrieg angeworben. Als die Österreicher im zweiten Weltkrieg nach Österreich zurück mussten, um dort ihren Wehrdienst zu leisten, wurden sie von Zwangsarbeiter aus Polen und Russland ersetzt. Auch das gab es in Marl-Brassert, genau so wie überall sonst im Nationalsozialismus.

Spannend und lehrreich fand ich die Führung. Auch in unserer Stadt fand Leben statt. Ich glaube es kaum. Nach dem Rundgang im Stadtteil waren wir gedanklich ganz schön beschäftigt. Es gibt noch ein paar Stadtteile in unserer Stadt, durch die mein Lieblingsmann und ich uns noch führen lassen möchten. Wir haben uns die Termine schon vorgemerkt. Es ist so spannend, deshalb werden wir wieder dabei sein.

Ich wünsche euch eine wissensreiche Woche,

Eure Birgit

Rundgang im Stadtteil – Zeitungsbericht

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