Hansi-Peter, der 96te

Meine Lieben,

in meinem Leben gab es nicht nur Katzen und Hunde. Als Ferienkind beehrte uns immer mal Oma Sofis Kanarienvogel Namens Hansi-Peter, der 96te.

Ihre Kanarienvögel trugen einer nach dem anderen jedes Mal den Namen Hansi-Peter. Gefühlte 96 waren es bestimmt, in Wirklichkeit weiß ich es nicht.

Ging Oma Sofi auf Reisen, oder musste sie ins Krankenhaus, so musste Hansi-Peter, der 96te untergebracht werden. Einen Hansi-Peter als Pflegekind zu bekommen, bedeutete vor allem Katzenschutz zuzusichern. Das ist schwierig in einem Katzenhaushalt, denn unser Kater Belphegor, genannt Bell, fand Hansi-Peter besser als jeden Fernseher.

Kam ich aus der Schule, sass er schon vor meiner Zimmertür, denn dort pfiff Hansi-Peter fröhlich zur Radiomusik vor sich hin. Das hört jeder Kater, durch jede Tür. Setzte ich mich dann an meinen Schreibtisch, dann bezog Bell Position in meinem Korbsessel. Im Laufe eines Nachmittags bezog er alle Positionen, angefangen als Beobachtungsposten, dann die Jagdhaltung, anschleichend an den Heizkörper und zum Schluss hat er sich zusammengerollt und so getan als sei der Vogel gar nicht da.

Ein sehr verschwiegener Hansi-Peter der 96te segnete mal während Oma Sofis Urlaubszeit das Zeitliche, ohne dass jemand Schuld war. Er lag morgens entgeschlafen in seinem Käfig. Sein Federkleid trug dieser Kanarienvogel in blass gelb und einen weißer Fleck zierte seine kleine Brust. Das Besondere an ihm war, dass er lebhaft aber stumm war, denn Trillern war nicht so seins. Standesgemäß beerdigt wurde er in unserem Garten. So weit, so gut. Doch wir konnten uns schon ausrechnen, was Oma Sofi jedem erzählen wird, „der Kater war es!“.

Nö, war er nicht, deshalb startete meine Mama eine Tour zu den Züchtern von Kanarienvögeln. Es sollte ein blass gelber mit weißem Fleck sein, was nicht das große Problem war. Das er aber auch noch schweigsam sein sollte, dass war eine Herausforderung. Ein Züchter verwies sie an den nächsten und zu guter Letzt fand sie den passenden in der Voliere eines Züchters, wo ein schweigsamer Kanarienvogel lebte. Ein neuer und stummer Hansi-Peter bezog den Käfig. Wir dachten vor Oma Sofis Gerede davon gekommen zu sein.

Dachten wir nur, doch wir hatten das Temperament von Hansi-Peter, dem 96ten, nicht einkalkuliert. In der Voliere – stumm, im Käfig vom Kater beobachtet – stumm, ließ er bei unserer Oma Sofi seine Stimme erklingen. Er zwitscherte und trillerte, was das Zeug hielt. Das im Käfig ein neuer Hansi-Peter wohnte, war nicht mehr zu verleugnen. Oma Sofi glaubte seit dem, Bell hätte Hansi-Peter, den 95 ten, auf dem Gewissen, da galt auch keine Unschuldsvermutung.

Hansi-Peter durfte ab diesem Zeitpunkt seine Ferien bei meinem Onkel verbringen, was wir zu tiefst bedauert haben, ja wirklich.

Wir haben unserer Oma auch nie erzählt, wie unser Bolz von Kater, stolze 14 Kilo schwer, mir breitbeinig auf dem Treppenabsatz meines Zimmers entgegen kam, den Griff des Käfigs in der Schnauze. Hätte ich es nicht gesehen, ich würde es nicht glauben. Endlich hatte er Hansi-Peter den 95 ten samt Käfig gefangen. Wie er ihn von der Fensterbank bekommen hatte, werden wir nie erfahren. Hansi-Peter saß in aller Ruhe auf seiner Stange und hielt den Kater im Auge. Das hatte ein bisschen was von Tweety und der bösen Katze Sylvester. Unser Kater Bell fand es mehr als ungerecht, dass ihm seine Beute abgenommen wurde.

Ich wünsche euch einen schönen Tag. Habt ein trillerndes Liedchen auf den Lippen,

Es grüßt euch,

eure Birgit